Ein Blog über Videospiele, viel Lustiges und auch Business

Not 1 hour? 15 Minutes? Japanische Hühner und ein Capcom-Master

Localisation Testing als Produkt Manager bei Virgin
Ich hatte meinen Job bei Virgin Interactive echt geliebt, denn endlich konnte ich an Videospielen mitarbeiten. Als Produkt Manager war es dabei u.a. mein Job auch die Lokalisierung, speziell die deutsche Version, eines Spiels zu kontrollieren.

Dazu musste man nach der Übersetzung mit einer spielbaren Version und den zugehörigen Textfiles (txt, xls etc.) alle Texte des Spiels auf inhaltliche Korrektheit abgleichen. Texte für internationale Veröffentlichungen werden bspw. vom Japanischen zuerst ins Englische übersetzt und dann wird vom Englischen wieder in eine weitere Sprache übersetzt, z.B. Deutsch. Nicht selten haben die Übersetzer dazu keine Bilder oder eine spielbare Version vorliegen. So passiert es daher dann mal schnell, dass das englische Wort ‚Tank‘ ins Deutsche dann anstatt mit ‚(Öl)-Tank‘ als ‚Panzer‘ übersetzt wird. Steht man dann im Spiel an entsprechender Stelle, ist man als Spieler total irritiert, wo sich dieser Panzer denn nun befinden soll, von dem die Spielfigur da erzählt. Das kann von unschön zu unlösbar werden. … „Drücken Knopf“ reicht ja schon um den Spaß etwas verdorben zu bekommen.

Das MDK 2 Joypad-Killer-Level
Ich hatte für einige Spiele das deutsche Localisation Testing durchgeführt. Das für mich anspruchsvollste Testing war dabei MDK 2 von BioWare. Da erhielt ich die Dreamcast-Version, aber keinerlei Cheatcodes, um mir das Spiel leichter zu machen (obwohl später welche davon in Zeitschriften veröffentlicht wurden). Ich hatte nur ein Wochenende Zeit, um alle Texte im Spiel zu erspielen. Ich fand’s bockschwer und habe dabei wegen diesem Level hier beinahe die tolle Konsole samt Pad aus’m Fenster geschmissen:

MDK 2 Level 8, ab Minute 18:50 Jetpack-Action mit Zwischenlandungen auf ein-/ausfahrende Plattformen, um einen hohen Turm zu erklimmen
BioWare vs. Capcom
Im Jahr 2000 hatte ich dann das unglaubliche Glück für zwei tolle Spiele gleichzeitig verantwortlich zu sein: Baldur’s Gate 2 von BioWare und Dino Crisis 2 von Capcom. Das Problem war nur, dass das Localisation Testing onsite durchgeführt werden musste. Also nicht wie bei MDK 2 bei mir im Büro/zuhause, sondern direkt beim Entwickler vor Ort, und in diesem Falle bedeutete das also Kanada und Japan.

Es war aber nicht Kanada und Japan, sondern ‚oder‘. Denn leider mussten beide Spiele im exakt gleichen Zeitraum getestet werden. Das war für mich sehr ärgerlich, weil ich natürlich gerne beide Studios besucht hätte. Also musste ich mich schweren Herzens entscheiden!

Japan faszinierte mich und ich konnte die Chance nicht auslassen ins Mutterland aller Videospiele zu reisen. Daher musste ich das Testing vom epischen Baldur’s Gate 2 an meinen Kollegen Lukas abgeben und habe mich für einen Besuch bei Capcom in Osaka angemeldet.

Die Tokio Game Show!
JAPAN!! Ach, es fing schon klasse an! Wir flogen von London aus mit Virgin Atlantic nach Tokio. Eine tolle Fluggesellschaft mit einem damals so gut produzierten Safety-Video, dass ich das hier Jahre später noch erwähnen muss. Ich bin den Flug mit meinem französischen Kollegen Christopher geflogen. Etliche Filme später kamen wir in Tokio an. 

Es konnte wirklich nicht besser kommen, denn genau zu diesem Zeitpunkt fand auch noch die Tokio Game Show statt, und von unserem Gastgeber Capcom bekamen wir als Geschenk Tickets für die Messe - yeah!
Die Show war der Hammer, ich war einfach nur euphorisiert da zu sein. Leider hatten wir nur wenig Zeit, denn wir mussten ja weiter nach Osaka. 

Excuse me, where is the Tokaido Shinkansen? Hello?

Wir wurden nach der Show zum Tokio Hauptbahnhof chauffiert und sollten dort den Tokaido Shinkansen nehmen. Ein Schnellzug nach Osaka, wo Capcom den Hauptsitz hat. Es war überhaupt nicht einfach alleine zum Zug zu finden, denn die Ausschilderung ist ja numal auf japanisch und der Schnellzug war nicht mal eben auf den Schildern zu entdecken. Daher hatten wir versucht die Menschen im Bahnhof nach dem Weg zu fragen, aber es hielt keiner an, um uns zu antworten. Man hatte uns einfach ignoriert! Irgendwann haben wir die richtige Plattform dann gefunden und waren somit auf dem Weg nach Osaka.

Do you serve meat? Chicken? Bock, Bock, Bock, Bock, Bock, Bobooooock!
Endlich in Osaka angekommen, fuhren wir direkt ins Hotel. Es war zwischenzeitlich abends und wir hatten einen tierischen Hunger, da wir uns mit den für uns merkwürdig aussehenden Snacks im Zug nicht anfreunden konnten. Virgins International Localisation Manager Harald S. war kurz vor uns angekommen und wartete bereits. Im Hotel gab es nix, daher machten wir uns zu Fuß auf die Suche nach dem nächsten Restaurant.

Wir öffneten die Tür und wurden von der Bedienung lauthals freundlich begrüßt, sogar aus der Küche wurde uns ein japanischer Willkommensgruß zugerufen. Man führte uns an einen freien Tisch und gab jedem von uns eine Speisekarte. Die Karte war auf japanisch, enthielt keine Bilder und auch im gesamten Restaurant gab es keine Abbildungen von Gerichten. Ok, kein Problem: bestellen wir eben auf englisch.

Aber im ganzen Restaurant sprach niemand englisch! Das stellte uns vor ein echtes Problem. Wir hatten tierischen Hunger und wussten nicht, wie wir etwas zu Essen bestellen können. Wir haben versucht alles mit Worten und Händen zu beschreiben, aber die Bedienung hatte nur verlegen gelacht und uns dann einfach wieder alleine gelassen. Sie verstand nicht was wir bestellen wollten. Keiner von uns war so schlau ein Wörterbuch mitzubringen und Smartphones gab’s noch nicht. Also mussten wir die Tiere nachmachen. Wir imitierten Tiere in Bewegungen und Geräusche, es war eine abstruse Szene. Aber es funktionierte, denn die Bedienung hatte nun ein Ausrufezeichen im Gesicht und sagte: „Ah…Yakitori?!“. Und wir freuten uns wie kleine Kinder über das bisschen Verständigung. „Yes, Yakitori!!“. Nach 5 Minuten kam sie dann mit einem kleinen Teller zurück, auf dem 4 Mini-Hähnchenspieße für 3 hungrige, erwachsene Männer lagen… Nicht ganz der erhoffte Erfolg.
Japanische Toiletten haben eine Sitzheizung...manche haben sogar noch eine Docking-Station
Japanische Toiletten haben eine Sitzheizung...manche haben sogar noch eine Docking-Station
Endlich in den heiligen Hallen von Capcom Osaka
Am nächsten Tag ging es dann auch direkt los mit der Arbeit. Wir erhielten eine kleine Einführung und wurden in die entsprechende Abteilung geführt, in der Dino Crisis 2 entwickelt wurde. Jeder von uns erhielt dazu einen Programmierer zugewiesen, der uns bei der Korrektur der Texte direkt im Spielcode unterstützen sollte. Es gab keine Excel- oder Textfiles in denen wir die Texte hätten ändern können. Nein, der Text war im Spielcode integriert, und daher nur von einem mit dem Code erfahrenen Programmierer zu ändern.

Mein Programmierer hieß Tori. Er hatte 8 Jahre lang deutsch gelernt, weigerte sich aber leider auch nur ein Wort auf deutsch mit mir auszutauschen. So kommunizierten Tori-san und ich eben wieder mit Händen und Blicken.
Speedruns und tödliche Textfehler der Apokalypse
Ich musste das Spiel mehrfach im Schnelldurchlauf durchspielen und alle Onscree-Texte kontrollieren. Hatte ich einen Fehler gefunden, musste ich Tori-san auf die Stelle hinweisen, die er dann im Code suchte, sodass ich daraufhin kurz seine Tastatur übernehmen konnte. Das hört sich ganz einfach an. Die Änderungen waren ja meist auch in 3 Sekunden von mir vorgenommen worden, aber der ganze Prozess dazu dauerte viel länger, daher nochmal langsam:

Hatte ich einen Fehler gefunden, sprach ich Tori-san an. Er drehte sich zu mir um und hatte ein nahezu emotionsloses Fragezeichen im Gesicht. Ich erklärte, dass ich eine Stelle gefunden habe, an der wir etwas ändern müssten. Oh-Oh! Ein Weltuntergang!! Tori-san schlug die Hände über dem Kopf zusammen. Ein Fehler? Im Spiel? Ein Fehler in ihrem Spiel? Wie konnte das passieren? Er schüttelte den Kopf. Nuschelte was in die Hand vor seinem Mund. Er blickte nach unten und fragte sich, ob er zur Verantwortung gezogen werden würde. War das der Untergang des Spiels? Von ganz Capcom? Was könnte die Lösung sein? Wo ist der Fehler? Er suchte nach der entsprechenden Stelle im Code und übergab mir das Keyboard. Ich setzte das fehlende Komma und bedankte mich.

Dieser Ablauf wiederholte sich in dieser Prozedur jedes…einzelne…Mal! Es war eine abgefahrene Routine.
Es wurde aber noch getoppt: Denn ab und an kam der Producer in den Raum. Sobald er anwesend war, wurde alles noch dramatischer. Hatte ich eine Stelle, die geändert werden musste, so habe ich wieder Tori-san angesprochen. Aber Tori-san reagierte nicht wie sonst. Jetzt rief Tori-san seinen Producer zu Hilfe. Immerhin sprach der englisch:

Er: „Yes, please? Is there a problem?"
Ich: „I am very sorry, but I would need to change a text sequence for the german version."
Er: „Is this really necessary?"
Ich: „It’s a incorrect wording and can lead to misunderstanding of that sequence."
Er: „I see, but is it really necessary to change that."
Ich: „Yes, unfortunately.“ (Ich hatte immer versucht die richtige Höflichkeit in der Betonung entgegen zu bringen)
Er: „This is problematic as it could effect our schedule and we cannot afford any delays. So, is your change really necessary?"
Ich: „I am very sorry, but I have been sent here to correct any incorrect translations. For the german market it's really important to get the translation in the best way possible."
Er: „I understand. Tori-san will help you."
Er wandte sich zu Tori-san und gab ihm eine entsprechende Anweisung. Ich bekam das Keyboard übergeben und machte schnell meine Anpassung.

Auch diese Prozedur wiederholte sich!
Nicht selten regte sich Harald im Büro zurecht lautstark auf, weil wir durch diese Prozeduren ja erst zeitlich so stark aufgehalten wurden. 
Schlimmer wurde das Ganze tatsächlich nur noch, wenn es einen Fehler bei einer FMV-Szene gab, einer vorgerenderten Videoszene. Denn diese Änderung musste dann tatsächlich im Videoschnitt vorgenommen werden.
Osaka. Arcades. Not one hour!
An einem Abend bot uns Tori-san an, uns die Arcades zu zeigen. Yeah! Eine japanische Spielhalle. Wie freundlich von ihm!
Ich versuchte mich an einem Tanzspiel, bewegte etwas verkrampft meine Arme dazu und flog in der ersten Runde raus. Dann übernahm ein Japaner und 'dancte' uns da einen vor, danach hatte ich erst verstanden wie man solche Spiele überhaupt spielen soll. 
Leider habe ich nur von einem anderen Spiel ein Video gefunden, aber so bekommt man einen Eindruck über welche Skills Japaner verfügen:
Nach der Arcade wollte Tori-san Karaoke mit uns singen gehen. Ich weiß überhaupt nicht mehr wieso, aber wir teilten die Begeisterung für Karaoke nicht. Daher versuchte mein französischer Kollege zu erfragen, ob wir anstelle von 1 Stunde Karaoke, nicht einfach nur 15 Minuten Karaoke machen wollen, um dann in eine Bar weiterzuziehen. Wir hätten das nicht tun sollen, wir hätten uns zusammenreißen und die Stunde Karaoke durchziehen müssen. Aber der dabei entstandene Dialog zwischen Tori-san und Christopher ist bis heute einer der lustigsten überhaupt!

Christopher: “Tori-san, would it be ok for you if we’d do Karaoke for 15 minutes only and then go to a bar?"
Tori: „?"
Christopher: „Karaoke, not one hour…only fifteen minutes!"
Tori: „Not one hour?"
Christopher: „Yes, instead of one hour Karaoke, only 15 minutes!"
Tori: „15 minutes?"

Wir waren uns nicht sicher, ob wir uns hier richtig verstanden hatten. Also nahm Christopher seine Uhr zu Hilfe und zeigte in einer Umkreisung seines Ziffernblattes die gemeinte Stunde und dann nochmal die Distanz des Zeigers für 15 Minuten auf.

Tori: „Not one hour? 15 minutes?"
Christopher: „Yes!"
Tori: „?"

Dieses Gespräch war eine abgefahrene Endlosschleife der Wortfolgen „Not one hour“ und „15 minutes“. Ich musste tierisch in mich hineinlachen. Es wurde für mich so schlimm, dass ich mich abwenden und zwar geräuschlos, aber mit vollem Körpereinsatz und mit Tränen in den Augen lachen musste. Oh mein Gott…wir kommen in die Hölle für diese unhöfliche aber saukomische Szene! Warum sind wir nicht einfach in diese Karaoke-Bar gegangen? Ich weiß es nicht mehr...
Stimmung!
Stimmung!
Japan-Standard
Die Tage verliefen nach dem immer gleichen Schema. Besonders erlebnisreich blieben unsere täglichen Versuche etwas Essen zu gehen. Wir ging öfter mal auch zu Mc Donalds, da wir dort immerhin wussten, was wir bekommen würden. 
Die japanische Prozedur für die Bestellaufnahme in Geschäften ist auch etwas, was ich so noch nie erlebt habe. Man stellt sich in die Schlange und sobald man dran ist, erhält man einen japanisch geführten, langen Monolog von der Bedienung. Dabei spielte es für die Bedienung überhaupt keine Rolle, dass ich offensichtlich kein Wort verstand und auch nicht korrekt antworten kann. Sie beendete die Prozedur um der Prozedur Willen. Ich war nur froh, dass es dort Fotos der Menüs gab, sodass ich einfach mit dem Finger meine Auswahl treffen und den Preis am Kassendisplay ablesen konnte.
Blick vom Capcom-Office über Osaka
Blick vom Capcom-Office über Osaka

It's done when it's done!

Endlose Diskussionen zu Änderungswünschen später waren wir fertig. Die lokalisierten Versionen von Dino Crisis 2 waren fertiggestellt und wir machten uns mit den Master-Discs in der Hand auf den Weg in die Heimat.

Leider ist das Foto unscharf...
Leider ist das Foto unscharf...
It's done!
It's done!
Game Over! You win!
Wir fuhren mit dem Tokaido Shinkansen zurück nach Tokio und hatte vor dem Abflug noch eine Nacht in Tokio zu warten. Wir nutzten die Zeit und gingen auf Shoppingtour.

Abends im Hotel merkten wir dann schon, dass wir von dieser Reise und unseren Erlebnissen ziemlich erschöpft waren. Wir hockten uns daher im Hotelzimmer auf die Couch und schauten japanisches Fernsehen. Es lief eine Art Spielshow. Wir haben natürlich kein Wort verstanden, aber schauten dem Geschehen zu. Der Spielshow-Teilnehmer war ein Mann und wurde in einem Raum anscheinend angeschrien, geschubst und hatte sogar mal eine Ohrfeige kassiert. Es war eine ganz merkwürdige Szenerie, die ihren Höhepunkt nur noch darin gefunden hatte, dass das Haus in dem der Teilnehmer gestanden hatte zusammenbrach! Wir hatten uns echt erschrocken. Da muss doch etwas tierisch schief gelaufen sein, denn die Decke stürzte über ihm zusammen! Es gab eine große Staubentwicklung und der Kandidat stand aber aus den Trümmern wieder auf. Zwei Moderatoren kamen auf ihn zu und drückten ihm einen großen Scheck in die Hand…er hatte die Show scheinbar überlebt!



PS: Ich bin kein Rechtschreib-Profi. Im Fach Deutsch war ich unglaublich schlecht,  bis eine Lehrerin mit Goethes Faust das erste Mal mein Interesse für dieses Fach wecken konnte. Ich wurde für's Localisation Testing nicht ausgewählt, weil ich der Sprache im Punkt Grammatik außerordentlich mächtig bin, sondern weil es einfach in das Tätigkeitsfeld des Produkt Managers fällt.
PPS: Ich mag Japan und Japaner sehr gerne und hoffe nicht, dass der Tenor durch meine Erzählung zu sehr zu Lasten der Japaner geht. Sonst möchte ich mich dafür entschuldigen.
PPPS: Pferderennspiele sind in Japan sehr angesagt. Ein besonders interessantes Exemplar ist dabei dieses Spiel hier:
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